Leben in Zeiten von Corona XV

Helen hat sich sehr gefreut als sie Grossmutter wurde. Endlich, dachte sie sich. Das Risiko war gross, dass ihre einzige Tochter eher Karriere machen würde, als sich die Zeit zu nehmen, um mindestens ein Kind zur Welt zu bringen.

Helen war eine engagierte Grossmutter. Immer wenn ihre Tochter Hilfe brauchte, war sie da und half wo notwendig, obwohl sie selber noch zu 100% arbeitete. Das war aber vor Corona. Im März wurde alles anders. Die Besuche wurden immer weniger und immer distanzierte, umarmen durfte man sich nicht.

Helen mit ihrem Diabetes war selber in der Risikokategorie und obwohl es ihr sehr schwerfiel, reduzierte sie ihre Besuche bei ihrer Tochter und dem Grosskind auf einen Sonntagnachmittag Spaziergang mit ihnen. Der kleine begann von Helen zu entfremden. Das schmerzte noch mehr.

Helen hoffte, dass Corona sich bald verflüchtig und sie wird wieder dort anknüpfen wo sie im Winter aufhörte. 6 Wochen in Sommer verbrachte sie bei ihrem Sohn und seiner Familie in Kanada. Als sie zurückkam und das erste Mal die Tochter und der kleine Martin besuchte, ist ihr das Herz fast stehen geblieben. Nicht nur konnte sich der kleine Martin nicht mehr an sie erinnern, sondern er begann zu weinen, als sie ihn in die Arme nahm und beruhigte sich erst, als die Mutter ihn wieder zu sich nahm.

Helen war verletzt und dachte am Abend im Bett viel darüber nach, was das wirklich ist, wofür es sich zu leben lohnt. Am Leben zu bleiben, aber isoliert und ohne enge Beziehung zu der eigenen Familie, das war für Helen kein wünschenswertes Leben mehr. Helen entschied sich, dass sie das Risiko einer möglichen Erkrankung mit allen möglichen Konsequenzen auf sich nehmen wird aber, dass es ihr wichtiger ist eine gute Beziehung zu ihrem kleinen Martin zu haben. Sie begann wieder jeden Sonntag mit ihnen spazieren zu gehen. Mit der Tochter machte sie ab, dass sobald der Kleine in die Krippe gehen wird, wird sie ihn dort einmal pro Woche abholen.

Das erste Mal kam schneller als gedacht. Helen stand am Donnerstag um 16 Uhr an der Tür der Krippe mit klopfendem Herz. Was ist, wenn der kleine Martin sich weigern wird mit ihr nach Hause zu gehen? Was ist, wenn er beginnt zu weinen? Oder noch schlimmer, zu schreien? Helen hatte Angst. Sie stand beim Eingang mit der Maske in ihrem Gesicht und schaute zu der Gruppe der spielenden Kinder. Sie sah Martin und Martin schaute in ihre Richtung aber machte keinen Schritt.

Und plötzlich reiste sich von der Gruppe ein kleiner, etwa 3-jähriger Junge, rannte auf Helen zu und streckte die Hände zu ihr hoch. Er lachte sie an mit freudiger Erwartung. Helen war überrascht, da sie den kleinen Jungen nicht kannte, aber so wurde aus ihrer Angst ein gutes Gefühl. Und als das Martin sah, rannte er plötzlich auch auf Helen zu. Die anderen Kinder folgten ihnen und plötzlich stand Helen in der Mitte von 6 kleinen Kindern. Die Lehrerin kam eilig und ermahnte den Kindern zurück zu kehren. Der kleine Martin blieb.

Helen und Martin sind Hand in Hand nach Hause gegangen. Ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Helen war sehr dankbar dafür und wusste, dass ihre Entscheidung richtig war. Man muss auch in Zeiten von Corona weiterleben.

Image source: http://unsplash.com

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