Wie wird man alt

Ich habe gelesen, dass Leute keine Angst vor dem Tod haben, sondern vor dem Sterben und eigentlich geht es um die Angst vor den Schmerz und der Fremdbestimmung. Ähnlich ist es mit dem älter werden. Ich glaube nicht, dass die Leute Angst vor dem Alter haben. Älter zu werden bringt viel Positives mit sich.

Man kennt sich und muss sich selber und den anderen gar nichts mehr beweisen (nicht alle, aber wohl die Mehrheit). Die Erfahrung erlaubt eine Entscheidung zu treffen, die in jungen Jahren gar nicht möglich wären und das über Jahre aufgebaute soziale Netz ist so tragfähig, dass man gar nicht fallen kann. Diejenige die ein Leben lang Freude am Lernen haben, lernen neue Sachen und kommen bis ins hohe Alter auch bei den neusten technologischen Entwicklungen mit. Das Alter bringt dann einige körperliche Beschwerden und schwindende Energie mit sich. Bei einigen auch eine begrenzte geistige Flexibilität. Die Angst vor dem Alter ist eher eine Angst vor den negativen Folgen, die es mit sich bringt.

Ich schaue mir seit ein paar Jahren sehr aufmerksam die über 70 Jahre alten Leute an und sehe riesige Unterschiede. Es gibt diejenigen, die sich gehen lassen und das verdiente «Alter» geniessen ohne für sich, die andere oder die Gesellschaft etwas zu tun. Und es gibt solche, die nicht das Gefühl haben, dass die Gesellschaft ihnen etwas schuldet. Sie haben ihr Glück selber in die Hände genommen und steuern es mit einer unglaublichen Bravour. Die positiven und selbstbestimmten unter ihnen faszinieren mich.

Gestern war ich Langlaufen mit meinem Jüngsten. Er machte mit, aber es war ziemlich schnell klar, dass Langlaufen vorläufig nicht zu seinem Lieblingssport gehört. Wir waren mit einem sehr moderaten Tempo unterwegs. Oben auf dem Bergen (2000m) haben sich die Lawinen den Weg ins Tal gesucht. Von unserer Loipe aus haben sie wie Wasserfälle ausgesehen. Wir konnte sie hören und beobachten. Fast bei jedem Niedergang hielt mein Jüngster an und beobachtete sie. Das alles erzähle ich, um zu zeigen, dass unser Tempo eher einem Sonntagspaziergang als einer sportlichen Betätigung entsprochen hatte. Und während wir trödelten wurden wir durch unzählige weisshaarige Herren und einigen Damen überholt. Wir waren klassisch unterwegs, sie haben geskatet und waren sehr schnell unterwegs. Einer von diesem älteren Herrn ist mir wegen seinen weissen, zu einem Schwanz gebundenen Haaren aufgefallen. Er hat uns diesen Nachmittag 3!!! Mal überholt. Wie frustrierend. Ich schätze ihn auf sicher 75 Jahre. So will ich auch altern.

Aber ich denke auch an meine Mutter (bald 80 Jahre) und wie sie e-Banking, Einkaufen in Internet, online Kommunikation und alles was es braucht in der modernen Gesellschaft braucht, gelernt hat. Wie sie nach dem sie fast 20 Jahre kaum mehr Auto gefahren ist, sich hinter das Lenkrad gesetzt hatte und wie sie jetzt den technischen Unterhalt ihres Skoda von dem sie noch vor 2 Jahren keine Ahnung hatte souverän meistert. Unsere pensionierte Nachbarin, ehemalige Primarlehrerin, die sich für Astrophysik zu interessieren begann und die sich jetzt in dem Bereich an der Universität weiterbildet. Oder der noch etwas ältere Nachbar von meiner Mutter, den man als «Stunden Ehemann» buchen kann und der die Haushalte vieler älteren alleinlebenden Damen mit kleinen Reparaturen wieder in Schwung bringt und meistens noch zum Mittag- oder Abendessen eingeladen wird, so dass der soziale Komponente nicht zu kurz kommt.

Am meistens beeindruckt bin ich von Wilma. Wilma ist seit 2 Jahre eine Witwe und lebt in einem grossen Haus mit Garten. Sie baut eigenes Gemüse an, macht Konfitüre, spielt mehrere Musikinstrumente, liest viel, in Zeiten vor Corona ist sie regelmässig ins Turnen und Schwimmen gegangen. Sie repariert alte Puppen, hält das Haus und den Garten in penibler Ordnung, hat viele Besucher, weil sich die Leute bei ihr so wohl fühlen (mich inklusive). Es gibt vieles was sie selber macht – die Steuererklärung, ein Boden legen, Vorhänge häkeln. Und wenn sie etwas nicht kann, es aber braucht, versuch sie es zu lernen. Sie ist über 80 Jahre alt und hat einige gesundheitliche Beschwerden, mit denen sie sehr pragmatisch umgeht. Sie interessiert sich für vieles und es gibt keine Abstimmung, an der sie nicht teilgenommen hatte.

Ich wünsche mir, dass es uns allen gegönnt wird so alt zu werden (und da meine ich nicht die Zahl) wie Wilma. Das bedeutet Freude am Leben, Offenheit für neues und das beste aus der gegebenen Situation zu machen, nicht nur an sich selber zu denken. Der Rest kommt von selber.

Image source: http://unsplash.com

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