Leben in Zeiten von Corona XIV

Als wir im März dieses Jahres zusammen mit unseren Sorgen und Ängsten zu Hause eingeschlossen wurden, war es fast nicht auszuhalten. Ich bin fast jeden Tag die gleiche Strecke den Berg hinaufgelaufen. Und das in jedem Wetter. Ich musste raus, den Kopf durchlüften, die Stadt unter mir aus einer anderen Perspektive sehen, Abstand nehmen. Der Weg, den ich nahm, war unglaublich steil. Ich bin mir wie eine Gämse vorgekommen, wie ein Mensch der Sport nur aus dem Fernseher kennt. Die ersten paar male war das steilste Stück des Weges – immerhin fast 600 m – nicht ohne eine Pause zu schaffen.

Irgendwie schämte ich mich vor mir selber und trotzdem musste ich 2 oder 3 mal eine kurze Pause machen um nach Luft zu schnappen. Eines Tages, etwa gegen Ende April sah ich zwei Personen, die die gleiche Strecke gerannt sind. Erst glaubte ich es nicht ganz, aber allmählich wurde mir klar: ja, das ist auch möglich und durch den Kopf blitzte die Idee, das will ich auch machen. Der Wunsch ist eine Sache, die Umsetzung eine andere. Den ganzen Frühling durch bin ich unzählige Male auf diesen Berg und hatte dort mein Frieden, der im Tal nicht zu finden war, gefunden. Aber diesen Berg hoch zu rennen, obwohl meine Kondition von Tag zu Tag besser wurde, daran war nicht zu denken.

Dann kam der Sommer und anstelle des Berges verbrachte ich die freie Zeit auf dem See. Den Berg schaute ich beim Schwimmen immer an. Insbesondere Ende August und in September als der Sommer langsam zu Ende ging aber das Wasser noch angenehm war. Ich schwamm in den Sonnenuntergang und beobachtete wie sich die letzten Sonnenstrahlen in den Fenstern der Häuser, die in der unteren Hälfte des Berges stehen spiegeln. Den Berg habe ich selten besucht. Der Herbst wurde wieder trostlos. Solange die Bäume farbige Blätter haben geht es noch, aber wenn sie sie verlieren und im Tal der ewige Nebel ist, der alles verschluckt, wird es wirklich trostlos. Gleichzeitig hatte ich so viel zu tun, dass ich nicht mal dazu gekommen bin regelmässig den Berg hoch zu laufen.

In dem Nebel sah ich nichts und roch nur den Wald hinter mir. Nur die frische Luft und das Laufen waren die Belohnung. Eine schöne Aussicht oder überhaupt eine Sicht gab es nicht.

Und dann letzte Woche, es war schon dunkel als ich endlich mit allen Pflichten fertig war und ich schaute aus dem Fenster und sah wie klar es war, kein Nebel. Ich bekam so eine Lust auf meinen Berg hoch zu rennen, dass ich mich anzog und raus rannte. Klar habe ich die Stirnlampe vergessen, aber ich kenne den Weg mittlerweile fast mit geschlossenen Augen.

Ich rannte hoch und spürte unheimlich viel Energie. Ich hatte eine unglaubliche Leichtigkeit und gleichzeitig viel Kraft. Ich verliess den Weg mit öffentlicher Beleuchtung und tauchte in die Dunkelheit ein aber hinter mir leuchtete die Stadt. Es war anspruchsvoll und auf den letzten paar hundert Metern spürte ich meine Lunge. Aber ich hatte genug Energie diesen steilen Hang in völliger Dunkelheit zu bezwingen. Oben überkam mich ein unheimlich gutes Gefühl und ein wunderschöner Blick auf die beleuchtete Stadt unter mir. Ich weiss nicht wie viel Höhemeter ich hinter mir liess, es ist mir auch ziemlich egal. Aber das Gefühl es zu schaffen, was ich noch in Frühling dachte ist für mich unerreichbar, war einfach überwältigend.

Eine Moral aus dieser Geschichte gibt es nicht. Nur ein gutes Gefühl und ein paar schöne Bilder als Andenken.

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