
Reto und Damian haben beide an der Universität Zürich Jura studiert und sind fast zeitgleich ins Berufsleben eingestiegen. Es war noch im letzten Jahrhundert. Retos Vater starb früh, und Reto lebte lange Zeit bei seiner Mutter. Da seine Freundin eine winzig kleine Mietwohnung hatte, war es schwierig für ihn, bei ihr einzuziehen. Da sie jedoch beide von einer gemeinsamen Zukunft mit Kindern und einem guten Leben träumten, beschlossen sie, gemeinsam ein Haus zu kaufen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Der Weg dorthin war anspruchsvoll und ohne Darlehen von der Familie fast unmöglich, aber aufgrund ihrer starken Umsetzungsfähigkeit gelang es ihnen alles. Sie kauften ein altes kleines Haus, bauten es um, auch unter Einsatz von viel Eigenleistung, heirateten (auch wegen der Absicherung im Falle des Todes wegen des Hauses), und bekamen zwei Kinder. Beide arbeiteten zu 100 %, und zur Betreuung der Kinder engagierten sie Grosseltern, denen sie einen kleinen Lohn zahlten.
Damian, der nicht aus dem Kanton stammt, lebte bereits während seines Studiums in einer WG. Seine Freundin wohnte in einer kleinen Genossenschaftswohnung, die jedoch gross genug war, damit Damian nach dem Studium zu ihr ziehen konnte. Auch sie träumten von einer gemeinsamen Zukunft. Ihre Wünsche waren jedoch nicht materieller Natur. Sie wollten die Welt bereisen und regelmässig Theater- und Konzertveranstaltungen besuchen. Auch sie bekamen zwei Kinder, heirateten jedoch nie, weil es sich aufgrund der Steuerprogression nicht lohnte. Mit dem ersten Kind konnten sie im Rahmen der Genossenschaft ihre 2-Zimmer-Wohnung gegen eine 3-Zimmer-Wohnung tauschen, und fünf Jahre später, mit dem zweiten Kind, noch einmal in eine 4-Zimmer-Wohnung mit grossem Balkon. Sie lebten sehr zentral ohne Auto in einer sehr schönen Wohnung mit einer Miete von 1420 CHF. Beide arbeiteten in Teilzeit (60 und 50 %) und teilten sich jahrelang die Kinderbetreuung. Als die Kinder älter wurden, erhöhten sie ihre Arbeitszeiten auf 80 und 70 %.
Die steuerliche Belastung der beiden Familien war bisher unterschiedlich und wird sich ab nächstem Jahr im Kanton Zürich noch einmal ändern, da die Mehrheit der Wohneigentümer mit höheren Steuerrechnungen rechnen muss. Das Steueramt erwartet Mehreinnahmen von etwa 45 Millionen bei der Einkommensteuer und von 40 Millionen bei der Vermögenssteuer. Der Grund dafür liegt darin, dass der Wert der Liegenschaft als Vermögen und der fiktive Mietwert bei selbst bewohnten Liegenschaften als Einkommen bei gleichzeitigem Abzug von Zinsen und Reparaturen deklariert werden muss.
Der Wert der Immobilien wird als 70 % des Kaufwerts erfasst. Gemäss der Bundesgerichtsprechung sollte dieser Wert nicht unter 60 % des Marktwerts liegen. Die letzte Anpassung im Kanton Zürich erfolgte im Jahre 2009. Wüst und Partner haben errechnet, dass mit einer Erhöhung der Vermögenssteuerwerte um 49 % zu rechnen ist. Das bedeutet, dass nächstes Jahr alle Eigentümer höhere Bewertungsbescheide für ihre Liegenschaften erhalten werden.
Was bedeutet das nun für die Familien von Reto und Damian? Reto und seine Frau waren von Anfang an gezwungen, einen Teil ihrer Hypothek zurückzuzahlen. Das waren sehr harte Jahre, weil die Einkommen noch relativ bescheiden waren und die Ausgaben mit den Kindern und dem Umbau spürbar waren. Die Hypothek wird weiterhin reduziert. Durch die niedrigen Zinsen der letzten Jahre war die Zinsbelastung einfach zu verkraften, weil die Einkommen von beiden im Laufe der Jahre auch gut gestiegen sind. Ab nächstem Jahr werden sie durch die Anpassung anstelle des Vermögenssteuerwerts von 850.000 einen Wert über eine Million steuerlich erfassen müssen, und auch der Eigenmietwert, der heute als zusätzliches Einkommen mit 15.200 CHF zu Buche schlägt, wird steigen.
Bei Damian und seiner Familie ändert sich nichts. Die Miete ist so gut wie unverändert geblieben. Da die Genossenschaft in der Vergangenheit eine Senkung des Referenzzinssatzes vorgenommen hatte, führte sie dieses Jahr eine Erhöhung durch. Die Miete für die 4-Zimmer-Wohnung beträgt nach der Erhöhung ohne Nebenkosten 1420 CHF pro Monat. Damian profitiert erheblich, weil im Stadtgebiet von Zürich das günstigste Viertel der privaten Wohnungen preislich ungefähr dem teuersten Viertel der gemeinnützigen Wohnungen entspricht.
Reto und seine Familie zahlen wesentlich mehr Steuern als Damian und seine Familie, obwohl sie die gleiche Ausbildung haben und gemessen an einer Vollzeitbeschäftigung sehr ähnliche Löhne verdienen. Das hat mit der Leistungsfähigkeit der beiden Familien zu tun. Wesentlich sind drei Faktoren: die 100-%-Anstellungen von Reto und seiner Frau, die Tatsache, dass sie verheiratet sind, und der Eigenmietwert. Das höhere Arbeitspensum und der Eigenmietwert führen bei Retos Familie zu einer höheren Progressionsstufe. Reto und seine Frau haben aufgrund ihrer 200-%-igen Beschäftigung mehr Einkünfte zur Verfügung im Vergleich zu den 150 % von Damian und seiner Frau, die jede für sich steuerlich erfasst werden. Am Ende des Monats bleibt in beiden Familien fast gleich viel zur freien Verfügung.
Nach dem Gesetz ist alles korrekt. Die Frage ist, ob es gewollt ist, dass sich das Wohnen im Eigentum, die Vollzeitarbeit und die Heirat nur bedingt lohnen.
Der Eigenmietwert einer selbst bewohnten Liegenschaft muss versteuert werden. Und je mehr Verantwortung man übernimmt und je mehr Hypotheken man abbaut/zurückzahlt, desto höher wird die zu zahlende Steuer. Im gemeinnützigen Wohnungsbau, wo Land/Darlehen subventioniert werden, erzielen die glücklichen Bewohner einen Vorteil, der Jahr für Jahr zweistellige Tausendbeträge im Vergleich zum privaten Wohnungsmarkt ausmachen kann. Dies wird steuerlich nicht erfasst. Wenn mehr als 50 % der Wohnungen gemeinnützig wären, wäre es nicht der Rede wert. So profitieren einige Glückliche jahrzehntelang, ohne dafür einen Beitrag an die Allgemeinheit zu leisten. Auf ein Leben gerechnet sprechen wir über eine Differenz von mehr als halbe Million.