Wie ich in den Verdacht geriet, eine der schönsten Sparkassen im Jugendstil auszurauben

Als Kleinkind habe ich sehr viel Zeit mit meiner Grossmutter verbracht. Sie wohnte im zweiten Stock eines Hauses aus dem 19. Jahrhundert in der Hauptstadt. Ich liebte es, mit ihr einkaufen zu gehen. Das Leben spielte sich lokal ab, und alle kannten meine Grossmutter (schlussendlich war sie eine begnadete Schneiderin), und meine Grossmutter kannte alle. Eine Einkaufstour der einfachsten Art (zum Beispiel Brot holen) bedeutete mehrere Gespräche mit unzähligen Vorbeikommenden, denen ich mit Interesse lauschte. Der Höhepunkt war der Besuch der Konditorei, wo ich Erdbeeren mit Schlagsahne bekam. Nicht jedes Mal, aber immer mal wieder.

Das beeindruckendste Erlebnis war jedoch der sehr seltene Besuch der Sparkasse im Jugendstil. Ich verstand nicht, was meine Grossmutter dort machte, ich wusste nur, dass es um Geld ging. Da es dort fast immer viele Leute gab, hatte sich meine Grossmutter in die Warteschlange eingereiht, und mich hatte sie in der Mitte der Halle auf eine Bank gesetzt. Ich musste lange warten, und in dieser Zeit habe ich damals die Wandbilder und die beeindruckende Dekoration betrachtet. Ich habe mir die gemalten Szenen an den Wänden vorgestellt und überlegt, wie es weitergehen könnte und was alles passieren könnte. Die Halle der Sparkasse war sehr imposant, und es fühlte sich an wie in einer Kathedrale. Trotz vieler Leute herrschte fast sakrale Stille, als ob laute Reden eine Sünde wäre. Ich fühlte mich sehr klein und sehr unbedeutend in diesem grossen, aufwendig geschmückten Raum.

Meine Grossmutter ist seit Jahrzehnten tot, und mein letzter Besuch in dem Gebäude der Sparkasse war sicher noch mit ihr. Jetzt war ich per Zufall in der Gegend und hatte ZEIT (das kommt so gut wie nie vor). Ich war neugierig, wie das Gebäude heute aussieht, und entschloss mich, die Sparkasse zu besuchen. Von aussen sieht das Gebäude eher unscheinbar aus, aber drinnen ist es eine Wucht. Schon allein die restaurierte Treppe ist imposant, und die Haupthalle, wo ich als Kleinkind in der Mitte sass und die Bilder anschaute, ist sehr gut restauriert und im Nachhinein beeindruckend. Das Gefühl wie in einer Kathedrale mit der Stille und Höhe des Raumes wie damals hat sich wieder eingestellt.

Was mich stutzig machte, war die Decke. Die Decke bestand aus Glas und liess Licht herein. Ich als Kind habe jedoch in Erinnerung, dass die Decke ebenfalls volle Bilder hatte. Ich kann mich nicht erinnern, was es genau war, aber ich meine, es waren Leute im Sommer auf Feldern bei der Arbeit und beim Ausruhen, Erwachsene wie auch Kinder. Die Sparkasse war fast leer. Sehr ungewöhnlich im Vergleich zu dem Andrang und der Warterei von damals. Ich ging rund um den Saal und betrachtete die Einrichtung, die Bilder, die Skulpturen. Es ist ein beeindruckendes Werk. Ich dachte mir, ich mache ein paar Fotos, um sie meiner Mutter zu zeigen und mit ihr zu diskutieren, ob es wirklich damals schon eine Glasdecke gab oder ob damals dort eine Malerei war, wie ich sie in Erinnerung habe.

Ich begann zu fotografieren, und plötzlich stand eine Frau neben mir und sagte resolut: “Hier ist Fotografieren verboten.” Ich muss ehrlich zugeben, ich war in Streitlaune und widersprach ihr. Ich sagte, es hängt kein Verbotsschild, und fotografierte weiter. Die Missachtung ihrer Autorität gefiel ihr nicht. Sie antwortete, dass es trotz fehlendem Schild verboten sei, und ich solle SOFORT aufhören. Und das ausgesprochene Wort “sofort” fühlte sich an wie in grossen fetten Buchstaben geschrieben! Ich bat sie höflich, mir die Bestimmung schriftlich zu zeigen, weil man viel sagen könne. Sie war sauer und begann zu telefonieren. Auch nach dem Telefonat konnte sie nichts ausser ihrer Aussage “Fotografieren verboten” als Argument bringen.

Ich überlegte kurz, hatte jemand je die Idee gehabt, diese Sparkasse auszurauben, wäre er wahrscheinlich nicht mit einer sichtbaren Kamera unterwegs. Trotzdem, als ich sie anschaute, war ich nicht sicher, ob sie überreagiert und die Polizei ruft, weil sie keinen Sicherheitsdienst in der Sparkasse hatten, und für so einen Zeitverlust hatte ich keine Zeit. Die gewünschten Bilder hatte ich bereits gemacht, und sie machte keine Anstalten, mir mein Telefon aus der Hand zu reissen. Ich verabschiedete mich und ging. Ich hatte nicht vor, die Sparkasse zu berauben!

Was ich immer noch nicht weiss, ist, ob es wirklich schon damals (Die Sparkasse wurde im Jahr 1913 in Betrieb genommen, wobei an ihrer Stelle bereits im Jahr 1888 ein Finanzinstitut existierte) eine Glasdecke gab, weil meine Mutter sich auch nicht mehr erinnern kann. Darum bin ich unsicher, ob meine frühe Kindheitserinnerung täuscht oder ob es eine Restaurierung im ursprünglichen Zustand gab. Das wusste auch die Aufpasserin in der Sparkasse nicht!

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