Cholesterin und die Überraschung, wenn man zu viel fragt

Als Kind hörte Klara immer wieder, dass ihre Grossmutter an Arteriosklerose litt. Da die Grossmutter sehr vergesslich war, verband Klara Begriff Arteriosklerose automatisch mit dem Überbegriff für Vergesslichkeit. Später erkannte sie jedoch, dass Alzheimer und Arteriosklerose keine Verwandten sind.

Bei Arteriosklerose, auch Gefässverkalkung genannt, lagern sich Blutfette, Entzündungszellen und teilweise Blutgerinnsel an den Gefässwänden der Arterien ab, was zu Verdickung und Verhärtung führt. Dies geschieht Jahrzehnte lang ohne Beschwerden oder Anzeichen. Im fortgeschrittenen Stadium können Gefässverengungen zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten führen. Die genauen Ursachen der Arteriosklerose sind noch nicht endgültig erforscht. LDL (Low-Density-Lipoproteins)-Cholesterin spielt jedoch eine wichtige Rolle dabei. Cholesterin ist eine fettartige Substanz (Lipid), die zu 80% vom Körper selbst produziert wird, aber auch durch die Ernährung aufgenommen wird (aufgrund eines Missverständnisses hatte Klara daher fast 30 Jahre lang Eier von ihrem Speiseplan verbannt). Es gibt LDL-Cholesterin, das Fette von der Leber zu den Organen transportiert, und HDL (High-Density-Lipoproteins)-Cholesterin, das überschüssiges LDL-Cholesterin entsorgt. Erhöhte LDL-Cholesterinwerte im Blut führen zu Ablagerungen an den Gefässwänden und werden so zu “Müllverursachern”. Zu niedrige HDL-Cholesterinwerte, die als Müllabfuhr für überschüssiges Cholesterin dienen, und hohe LDL-Werte können daher das Risiko für Arteriosklerose steigern.

Damit nicht schon jetzt alles kompliziert genug wäre, gibt es auch ein Lipoprotein, ein Blutfett, ähnlich dem “schlechten” LDL-Cholesterin. Sein Wert sollte beachtet werden, da hohe Lipoproteinwerte Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern können. Lipoproteinwerte ändern sich im Laufe des Lebens nicht, und es gibt derzeit keine Medikamente, um sie zu senken.

Mit etwa 40 Jahren begann Klaras Vater täglich Lipidsenker (Statine) einzunehmen. Das ist die Lösung, um Cholesterinwerte medikamentös zu senken. Klara war sich daher schon in jungen Jahren bewusst, dass sie wahrscheinlich ein unerwünschtes genetisches Geschenk erhalten würde, das sie dazu zwingen könnte, täglich Pillen zu schlucken. Angesichts ihres starken Verlangens nach Unabhängigkeit in allen Bereichen war dies eine schreckliche Vorstellung. Klaras Vater rauchte nie, war sein ganzes Leben schlank, brauchte keinen Alkohol, und Bewegung war für ihn ein Grundbedürfnis; er ernährte sich immer gesund. Klaras Vater war der Prototyp eines gesunden Lebensstils.

Klara liess sich zum 40 Geburtstag ihre LDL- und HDL-Werte messen und stellte fest, dass ihr LDL-Wert bereits an der Obergrenze kratzte. Sie konnte selbst etwas dagegen tun, und Klara handelte. Sie rauchte nie, ernährte sich gesund und konnte vielleicht noch 5 Kilogramm abnehmen (ja, sie hätte noch schlanker werden können, aber die Einbussen wären zu hoch). Sie betrieb viel Sport mit Vergnügen. Jedes Jahr vor der Messung der Cholesterinwerte bei ihrem Arzt ging Klara morgens schwimmen oder laufen, in der naiven Absicht, die LDL-Werte zu tricksen. Das Trickspiel mit dem eigenen Cholesterin hat jedoch Grenzen. Obwohl Klara mittlerweile mindestens 60 Minuten täglich Sport trieb, überstiegen die LDL-Werte die zugelassenen Höchstwerte. Ihr Hausarzt kannte Klara gut und wusste, dass er sie mit Medikamenten nicht glücklich machen würde. Er schlug vor, den Lipoprotein-Wert, der Klara noch nicht bekannt war, zu messen. Sollte der Wert hoch sein, wäre es in ihrem eigenen Interesse, sich mit Pillen zu schützen.

Eine Woche später kam die schlechte Nachricht. Klaras Lipoprotein-Wert war doppelt so hoch wie das empfohlene Maximum. Klara hatte keine Wunder erwartet, aber eine so schlechte und eindeutige Bestätigung des Unvermeidlichen traf sie tief. Sie war über Pillen als Lösung des Problems noch nicht ganz überzeugt. Sie begann, nachzudenken. Medizin, Biologie und Chemie hatten sie nur oberflächlich interessiert, und ihre Kenntnisse in dem Bereich (auch die in der Vergangenheit erworbenen) existierten nicht mehr. Sie begann, sich in die Materie einzulesen und Fragen zu stellen. Wer in ihrer Familie ist an was gestorben? Mit Hilfe ihrer Mutter entstand eine lange Liste. Herzinfarkte und Hirnschläge kamen in ihrer Familie nie vor. Seltsam! Wie ist es möglich, dass, wenn in der Familie einige genetisch bedingte erhöhte Cholesterinwerte haben, niemand, auch bei Grosseltern und Urgrosseltern, soweit sie es beurteilen konnte, negative Konsequenzen davon getragen hat?

Wenn die Ursachen der Arteriosklerose heute nicht vollständig bekannt sind, könnte es sein, dass Cholesterin nicht zwangsläufig der Verursacher ist? Kann man nachsehen, ob die Arterien verkalkt sind?

Ja, es besteht die Möglichkeit zu überprüfen, wie stark die Ablagerungen bereits stattgefunden haben. Da Klara die höchste Selbstbeteiligung hatte und die Kosten dieser Untersuchung selbst trug, konnte sie ihren Arzt überzeugen, die Untersuchung (CT) durchzuführen, um den Grad der Verkalkung zu verstehen. In der Zwischenzeit hatte sie begonnen, sich mit dem Gedanken an Medikamente anzufreunden. Vielleicht, dachte sie, könne sie den Beginn des Pillenschluckens noch um ein oder zwei Jahre hinauszögern. Immerhin konnte sie niemanden dazu zwingen, aber ihr war klar, dass sie irgendwann nicht darum herumkommen würde.

Die Überraschung, als das Ergebnis kam, war riesig. Ihre Arterien waren nicht “vermüllt”, verkalkt, einfach negativ beeinflusst durch den hohen Cholesterinwert. Ihre Arterien war unbeschädigt und unproblematisch durchgängig, von irgendwelche Ablagerung keine Spur. Klara war endlos dankbar (die Rechnung für das CT habe sie noch nicht erhalten). Am Ende war die Ersparnis riesig – anstelle eines jährlichen Betrags für Medikamente nur ein einmaliger Betrag für eine Untersuchung.

Klara wurde nicht übermütig und arrogant. Das Gefühl, in diesem Bereich eher eine Ausnahme als die Regel zu sein, war von Dankbarkeit geprägt. Warum sie eine Ausnahme ist, konnte ihr der Arzt nicht erklären. Aber automatisch kamen Fragen auf, wie “Ist mein Vater, der Statine seit 40 Jahren einnimmt, vielleicht auch so eine Ausnahme wie ich? Sind seine Arterien vielleicht gar nicht verkalkt?” Dies musste sie jetzt gemeinsam mit ihm herausfinden.

Die genetische Lotterie zu beeinflussen ist kaum möglich. Aber Fragen zu stellen, das Bedürfnis zu haben, Dinge besser zu verstehen, und sich nicht mit allgemeinen Wahrheiten abspeisen zu lassen, haben Klara geholfen die eigene Unabhängigkeit länger zu bewahren.

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