
Meine Grosseltern haben ein Leben lang mit den gleichen Möbeln gelebt. Fast alle Stücke waren aus Holz und man konnte sie sicher noch ein paar Jahrzehnte gebrauchen, aber niemand wollte sie. Nach ihrem Tod mussten wir alle die alten Möbel entsorgen.
Als ich klein war, hatten meine Eltern alte Bauernmöbel und Werkzeuge vor Vernichtung gerettet. Sie haben sie restauriert und Jahre lang auf dem Dachstock aufbewahrt. Gott sei Dank hat vor einigen Jahren im Dorf ein kleines Museum aufgetan und man konnte viele Stücke von unserem Dachstock spenden. Interesse für diese alten Stücke gibt es heute nicht und auch wenn, dann müssen sie aus China stammen. Beim Umbau des Dachstockes wären sonst alle diese Möbelstücke ebenfalls zur Vernichtung wegen Platzmangel verurteilt worden.
Falls Sie mal durch Zürich fahren, wenn es schönes Wetter ist und es nicht regnet, achten Sie darauf wie viele Möbel am Strassenrand abgestellt wurden und mit einem Zettel mit der Aufschrift «Gratis» gekennzeichnet sind. Was man alles sieht ist einfach unglaublich. Ob alles ein Abnehmer findet ist fraglich. Ich war einmal in der Verbrennungsanlage in Zürich und staunte, was die Leute da alles zur endgültigen Vernichtung abgegeben haben. Musikinstrumente, Möbel, Kinderwagen – vieles in einem fast unversehrten Zustand, so dass man es weiter hätte nutzen können. Ich fragte, ob man eines von den Instrumenten mitnehmen könnte. Es wurde mir erklärt, dass das nicht geht. Es muss vernichtet werden! Man muss es sich nur vorstellen.
Meine Grossmutter und mein Grossvater mütterlicher Seite waren beide von Beruf Schneider. Und bei beiden konnte ich immer unfassbare Textilschätze finden, die es mir ermöglicht haben, mich in verschiedene Rollen, je nach Kleid, zu verwandeln. Später dann in der Pubertät, hat meine Grossmutter aus diesen alten Kleidern unfassbar moderne und schicke Kleider für meine Tanzschule und Tanzwettbewerbe genäht. Meine konservative Grossmutter hat mir für das Finale der klassischen Tänze ein sehr gewagte feuerrotes Kleid aus ihrer Stoffschatztruhe genäht. Und siehe da, wir haben es geschafft den 2. Platz zu erreichen. Nicht wegen des Kleides, aber mit dessen Hilfe, da bin ich mir ziemlich sicher.
Heute, wenn ich mir die Berge an Kleider in der Textilsammlungen ansehe und darüber nachdenke, dass unsere Entsorgungs Wut und Spende der Altkleider die lokale Textilproduktion in vielen armen Gegenden zerstört hat, muss ich an die unheimliche Kreativität meiner Grossmutter denken. Sie hat aus etwas altem etwas völlig neues und modernes geschafft. 75% aller Kleider die in einem Jahr produziert werden, landen heute in Müll , werden verbrannt. In Westeuropa kauft jede in Durchschnitt 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr , zieht aber 1/3 nie an.
Oder ich denke an die alte Schreibmaschine unseres Nachbarn. Als Kind habe ich sie bewundert und hab mir auch so eine gewünscht. Damals ein unerreichbarer Traum, weil sie viel zu teuer war. Heute wäre sie unverkäuflich, weil sie niemand will, respektive, weil sie niemand gebrauchen kann. Damit bleibt wieder nur die Entsorgung übrig. Ja klar, mechanische Schreibmaschinen sind heute so gut wie wertlos, aber der Nachbar hat sie fast die Hälfte seines Lebens gehabt. Wer von euch hat noch ein Telefon, das älter als 5 oder 10 Jahre ist? Und das sollte sicher nicht die Hälfte des Lebens sein.
Vor 25 Jahren waren Teppiche sehr in Mode. Ein guter Teppich aus Wolle war nicht billig. Wenn er dazu noch handgeknüpft war, war er richtig teuer. Seit einigen Monaten ist mir aufgefallen wie diese Teppiche, die in unzähligen Stunden Arbeit mit sehr viel Liebe hergestellt wurden, auf Ricardo und anderen Plattformen für lächerliche Preise bis zu maximal Sfr. 50 angeboten werden, ohne dass sie wirklich Abnehmer finden. Wahrscheinlich sind sie ebenfalls zur Vernichtung durch Verbrennung verurteilt.
Nein, ich habe nicht vor zu sagen «die guten alten Zeiten», da ich nicht denke, dass sie besser waren als die heutigen. Ich wundere mich aber wie wir als Gesellschaft geringe Wertschätzung für die investierte Arbeit, für die kreierten Werte zeigen. Nur das Neuste ist gut genug. Man campiert die ganze Nacht vor einem Laden, um ein neues technisches Gadget zu erwerben und will das alte (das vielleicht 2 Jahre alt ist) los werden. Um dazu zu gehören braucht man das Neueste. Alte Sachen sind nicht gefragt.
Diese Mentalität, diese Kultur wird auf die Menschen übertragen. Gefragt ist das junge, nicht das erfahrene, das alte. Gefragt ist das makellose, nicht das faltige. Die Alten werden zum non Valeur, ihre Erfahrung, die aus der Vergangenheit bezogen wurde, nicht von Interesse. Von Interesse ist die Zukunft. Ab 40 Jahre werden die Leute als zu unflexibel angesehen. Man meint, dass sie mit dem Neusten nicht vertraut sind und nicht anpassungsfähig genug sind. Die Arbeitswelt ist brutal. Der Versuch eine neue Arbeitsstelle mit 60 Jahren zu finden … nicht einfach.
Ich könnte einen utopischen Traum haben. Wenn die Sachen wieder so teuer wären, dass man sich nur einen Schrank in seinem Leben leisten könnte. Dass die Kleider ebenfalls nicht nur so viel wie 3 Kaffees kosten, wenn die Güter so langlebig wären, dass man eine Waschmaschine 25 Jahre haben könnte, dann vielleicht hätten wir wieder angefangen mehr Achtung für der Wert des Bestehenden zu zeigen. Und noch besser wenn es auf die Leute in Arbeitswelt übertragen würde.