
Ich habe das Privileg in luftigen Höhen zu wohnen. Das war schon der Fall als ich noch ein Kind war. Unser Hochhaus stand auf einem Berg, wir wohnten im 9. Stock und hatten eine phänomenale Aussicht auf die Stadt. Damals konnte man alle Fenster öffnen, und so war es die Aufgabe meines Vaters sie hier und dort zu putzen.
Jetzt wohne ich wieder in einem Hochhaus und habe ebenfalls eine phänomenale Aussicht auf den See, die Stadt und die mittlerweile verschneiten Alpen. Die Mehrheit der Fenster lässt sich gar nicht öffnen. In der Fachterminologie heisst es «Komfort Lüftung». Die Luft von aussen wird zentral eingesogen, gefiltert und in der Wohnung verteilt. Die Fenster kann man von aussen aber gar nicht selbst putzen. Darum gibt es hier und dort zwei Männer (eine Frau habe ich noch nie gesehen), die in einem Korb aufgehängt von Fenster zu Fenster fahren und die Fenster reinigen. Diese Woche war es wieder soweit und da ich im Home-Office von früh morgens bis spät am Abend arbeite, konnte ich sie ausgiebig bei fast jedem von unseren Fenstern um mich herum (und wir haben wirklich viele) beobachten. Das erste Mal haben sie mich erschrocken. Ich machte Yoga, um mein Kopf wieder frei zu kriegen und stand gerade auf dem Kopf als ich der Korb vor dem Fenster sah. Leute nein, ich wünsche bei meiner Yogaübung keine Zuschauer. Bei dem nächsten Fenster habe ich ihnen gewunken und bei den nächsten habe ich sie den anderen Teilnehmern in meine Videokonferenz gezeigt. Die Männer draussen wurden so in mein Arbeitsalltag integriert und winkten mir jedes Mal freundlich zu.
Ich habe grossen Respekt vor ihrer Arbeit. Ich selbst habe nicht Angst vor Höhen, einfach einen gesunden Respekt. Aber in diesem wackeligen, sich ständig bewegenden Korb, den ganze Tag – das hätte mir wahrscheinlich Schwierigkeiten bereitet. Vor ein paar Jahren war ich in New York und als ich dort stand, wo frühen WTC war, wurden an einem Hochhaus in der Nachbarschaft die Fenster gereinigt. Eine der Seile riss und der Korb hing nur noch an einem. Die beiden Männer konnten sich nach gewisser Zeit ins Innere des Gebäude retten und keinem ist was passiert, aber als ich selber den Korb sah, wie er bloss an einem Seil im 30. Stock hing, verursachte mir das fast phasisches Unwohlsein.
Die überraschendste Geschichte in diesem Zusammenhang erlebte ich in Noordwijk in Holland. Ich wohnte im Hotel mit Blick aufs Meer im obersten Stock. Einfach umwerfend!! Am Morgen stand ich auf und leicht bekleidet begann ich mir in Badezimmer die Zähne zu putzen. Ich schaute in den Spiegel und hatte das Gefühl, da stimmt was nicht, denn hinter mir Stand ein Mann. Ich wohnte aber allein. Ich schaute noch mal (ich hatte keine Brille an) und realisierte, dass er nicht hinter mir direkt steht, sondern sich irgendwo ausserhalb vom Gebäude befindet. Ich nahm das Handtuch und ging nachschauen. Mein Zimmer hatte kein Balkon aber eine Rampe, auf der er sich bewegte. Es war ein Handwerker und ich war auch ohne Dusche ziemlich wach.
Das alles führt zu einer Erkenntnis, die ich aber selbst immer wieder vergesse. Es ist naiv zu denken, dass man irgendwo, wo es Fenster gibt, absolut sicher vor fremden Blicken ist. Und das sind nur Fenster. Bei Videokonferenzen gibt es noch ganz andere Geschichten.