Warum ich schiessen gelernt habe

Mein Vater ist über 80 Jahre alt, und sein körperlicher Verfall zwingt ihn buchstäblich in die Knie. Doch sein Geist ist wach und sein Erinnerungsvermögen weiterhin legendär. Er ist ein Kämpfer und Tüftler. Trotz seiner körperlichen Einschränkungen pflegt er einen grossen Gemüsegarten, in dem er im Frühling Setzlinge aus Samen zieht. Obwohl er sich weder bücken noch knien kann, hindert ihn das nicht daran, den Garten zu bewirtschaften. Anstatt zu knien, pflegt er ihn liegend. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Leider ist er auch ein unermüdlicher Sammler – allerdings kein Messie. Alle Dinge, die er aufbewahrt (und es sind viele), sind ordentlich verstaut, und er findet alles in kurzer Zeit. Er erinnert sich oft noch genau, wo und wann er die einzelnen Stücke gekauft oder erhalten hat – selbst, wenn das Jahrzehnte zurückliegt. Er hortet alles, was irgendwann einmal nützlich sein könnte.

Zu seinem Besitz gehören auch zwei Pistolen, für die er eine Waffenlizenz hat. Im Sommer erzählte er mir beim Kaffeetrinken, dass er vor hat, mir die Waffen nach seinem Tod zu vererben – mit dem Wunsch, dass ich sie behalte, quasi als Andenken an ihn. Mein Vater war und ist kein Waffennarr. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind mit ihm geschossen habe. Er war es, der mir das Schiessen mit einem Luftgewehr beibrachte. In der Schule hatte ich nie etwas getroffen, bis er herausfand, dass ich – obwohl Rechtshänderin – mein linkes Auge nicht schliessen kann. Er band mir das linke Auge mit einem Tuch zu, und plötzlich erzielte ich passable Ergebnisse. Das ist jetzt viele Jahre her.

Seit meiner Jugend habe ich nicht mehr geschossen, obwohl sich in unserem Keller eine grosse Waffe befand (wie sie alle wehrpflichtigen Schweizer Männer hatten). Einmal im Jahr musste ich sie für die Kellerreinigung von einer Ecke in die andere verschieben. Als mein Vater den Wunsch äusserte, mir seine zwei alten Pistolen eines hoffentlich fernen Tages zu vererben, begann ich darüber nachzudenken, was das eigentlich bedeutet. Schnell wurde mir klar, dass es sich um ein problematisches Geschenk handelt, da der Besitz solcher Waffen ohne Waffenlizenz nicht erlaubt ist. Ich habe keine Angst vor Waffen, aber ich habe grossen Respekt vor ihnen. Eine Waffenlizenz bedeutet – je nach Land – eine Überprüfung, ob man „fähig“ und „würdig“ ist, eine Waffe zu besitzen. Ich traue mir durchaus zu, eine solche Prüfung zu bestehen. Doch mir wurde ein grosses Bedürfnis, die Pistolen wirklich zu beherrschen und nicht nur pro forma zu besitzen.

Deshalb absolvierte ich am Montag im Schiessstand Bysice meine erste Ausbildungsstunde im Schiessen. Es war kalt und neblig, typisch für Anfang Dezember. Ich hatte jedoch das Glück, eine grossartige Instruktorin namens Monika zu haben: geduldig, motivierend, konsequent und erfahren – Eigenschaften, die eine gute Lehrerin auszeichnen und die sie trotz ihres jungen Alters reichlich besitzt.

Womit beginnt man? Mit Sicherheit, natürlich. Immer wieder, bis die Bewegungen automatisiert sind: Magazin herausnehmen, Lauf kontrollieren, ob leer, Sicherheitsschuss abgeben. Und wieder von vorne. Finger niemals auf den Abzug legen!

Schon nach kurzer Zeit schmerzten meine Finger und Hände vom Üben. Ich lernte, wie man die Schrotflinte hält und anlegt, und wie man die Pistole spannt. Nach vielen Trockenübungen und einer ordentlichen Portion Theorie kamen dann die ersten Schüsse. Man erschrickt dabei unweigerlich, und trotz Gehörschutz ist der Knall beeindruckend laut. Immer wieder werden die Sicherheitsregeln wiederholt und betont – bei jeder Bewegung, bei jeder Aktion. Danach geht es an die Feinheiten des Zielens, die viel Übung erfordern.

Ich weiss nun, worauf ich achten muss und wie ich zielen sollte. Aber schiessen kann ich noch nicht wirklich – ich weiss nur ungefähr, wie es geht. Dank meines Vaters habe ich dennoch etwas Neues gelernt. Falls ihr eine unglaublich geduldige Lehrmeisterin sucht, kann ich Monika auf ihrem Schiessstand in Bysice (https://www.strelnicebysice.cz/) nur empfehlen. Jetzt brauche ich die ersten 500 Schüsse, um das Erschrecken bei der Schussabgabe loszuwerden. Danach sehen wir weiter.

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