
Es ist ein komischer Sommer. Es regnet immer wieder, und wenn es regnet, dann richtig. Es erinnert mehr an eine Sintflut als an normalen Regen. Es kühlt ab, regnet wie aus Kübeln, verursacht viel Schaden und dann ist es wieder unerträglich heiß mit über 30 Grad. Wechsel innerhalb von kurzer Zeit. Aktionsreiches Wetter, weit weg von Gemütlichkeit.
Es ist morgen der 1. August, der Nationalfeiertag in der Schweiz. Die Wettervorhersage ist mies und besagt, dass man sich auf sie nicht wirklich verlassen kann, aber es wird regnen. Leider kann man nicht sagen, wann genau. Da am Morgen die Sonne scheint, entscheide ich mich, schwimmen zu gehen. Dass es gegen Abend regnen wird, ist aus den Wettervorhersagen klar. So habe ich zumindest eine gute Chance, das Schwimmen im warmen See zu genießen. Ich bin schnell fertig. Badekleid anziehen, Sonnenbrille, Schwimmballon, Tuch und Unterhose einpacken, weites Kleid überziehen, und los kann es gehen. Auf meinem Tretroller bin ich in ein paar Minuten am See. Ein paar einsame Schwimmer sind im geschützten Schwimmbereich zu sehen, aber sonst ist es um 9 Uhr morgens menschenleer und sehr ruhig. Ich blase meinen Schwimmballon auf, und los geht’s. Das Wetter ist sonnig, aber der See ist schon unruhig, und in der Weite hinter dem Rigi sind schwarze Wolken zu sehen. Ich schwimme los und genieße jeden Zug der Arme und Beine, das warme Wasser, die Atmosphäre. Die Wellen werden größer, und das Schwimmen wird anstrengender. Der Körper meldet sich. Es braucht mehr Kraft. Es wird klar, dass die Strecke, die ich vorhatte zu schwimmen, unter diesen Umständen nicht machbar ist. Ich muss näher ans Ufer und wahrscheinlich schneller aus dem Wasser raus. Es kann ein Sturm kommen, obwohl die Warnlichter nicht blinken, aber der Himmel ist ziemlich eindeutig in der Vorhersage des Gewitters. Ich kämpfe mich durch die Wellen und erreiche ohne Probleme das Ufer. Mit Überraschung bemerke ich ein schlanke Ruderboot, das bei diesen Wellen hinausgefahren ist, aber ich widme ihm keine große Aufmerksamkeit; sie werden wohl wissen, was sie tun.
Ich dusche ganz kurz, trockne mich nur oberflächlich, ziehe das nasse Badekleid aus und ziehe das Kleid an. Das alles innerhalb ganz weniger Minuten. Es regnet noch nicht, aber die Feuchtigkeit kann man in der Luft riechen. Ich steige auf mein Trotti und fahre los in der Hoffnung, vor dem großen Regen zu Hause zu sein. Ich bin ein bisschen enttäuscht, gerne wäre ich länger im Wasser geblieben. Das Wasser war so angenehm warm, und das Schwimmen fühlte sich wie Meditation und Entspannung in einem an. Ich bin nicht arrogant und respektiere die Launen der Natur. Ich habe keine Lust auszuprobieren, wie es ist, wenn es in der Nähe blitzt und man im Wasser schwimmt. Und dann sehe ich das Boot, wie es führungslos durch die Wellen und den Wind gegen das Ufer treibt. Es ist offensichtlich, dass die beiden das Boot nicht im Griff haben. Sollte das Boot gegen das Betonufer knallen, ist ein Schaden sehr wahrscheinlich. Ich rufe ihnen zu: „Braucht ihr Hilfe?“ Sie antworten ganz schnell: „Ja, wir brauchen Hilfe“. Ich rufe zurück: „Wie kann ich helfen?“. Die Antwort ist prosaisch: „Wir wissen es auch nicht“.
Ich denke nach. Ich muss helfen, dass das schlanke, lange Boot nicht gegen das Ufer knallt. Aber aus dem Boot ragen vier lange Ruder, die zwei näher am Ufer müssen entfernt werden. Die beiden Ruderer ziehen die zwei Ruder ein, und ich kann sie in Empfang nehmen und ans Ufer legen. Die Ruder haben jedoch das Boot stabilisiert, und jetzt kippt das Boot. Aber immerhin in Richtung Ufer. Die eine Seite füllt sich innerhalb kurzer Zeit mit Wasser. Die Ruderin ist bereit, aus dem Boot zu klettern. Ich lege mich auf den Bauch, weil der Wasserpegel und das Boot unter der Kante des Ufers liegen, und nur so kann ich es erreichen. Die zwei Ruderer verständigen sich, dass die Frau als Erste ans Ufer klettert. Da ist kein Steig oder Leiter in der Nähe, und sie muss aus dem Wasser die Betonwand nach oben. Sie kommt mit den Armen bequem an den Rand des Ufers, aber nach oben kann sie sich allein nicht hochziehen. Sie ist ziemlich groß und entweder bereits erschöpft oder hat kaum Kraft in den Armen, und ich allein habe bei ihrem Gewicht keine Chance, sie nach oben zu ziehen. Breit und weit auf dem zentralen Seeufer ist kein Mensch zu sehen, nur weiter weg bemerke ich einen Jogger und rufe ihm zu uns. Er hat verstanden und rennt zum Ufer. Die Frau hat Kraft gesammelt, und es gelingt uns, dass sie nach oben klettert. Das Boot zu heben braucht ebenfalls viel Kraft, da die Wellen mächtig sind und das Boot für sie nur ein kleines Spielzeug ist.
Wir ziehen das Boot nach oben. Eigentlich müssten wir erst das Wasser ausleeren, weil es so wahnsinnig schwer ist, aber irgendwie haben wir vier es geschafft und tragen das Boot über die Promenade aufs Gras. Die beiden Geretteten bedanken sich. Es ist eine gelungene Aktion gewesen. Das Boot ist unbeschädigt und niemand ist zu Schaden gekommen. Der Jogger setzt seinen Lauf fort. Ich besteige meinen Tretroller und fahre bereits im Regen, verdreckt und nass wie ein Spatz, nach Hause. Der See tobt und die Wellen springen ans Land und breiten sich aus, um am Ende als kleine Wasserteiche liegen zu bleiben. 1. August mal anders. Meine Portion Adrenalin habe ich mir geholt. Ich brauche heute weder Feuerwerk noch Wasserspiele.
Lang lebe die Schweiz!