Langeweile


Ab und zu, wenn mein Leben zu hektisch ist, wünsche ich mir ein paar Stunden Langeweile. Wie so oft ist es ein sehr platonischer Wunsch, den ich eigentlich gar nicht meine, weil Langeweile finde ich schrecklich.
Ich erinnere mich, dass meine letzte Langeweile irgendwann im Sommer lag, als es drei Wochen ununterbrochen geregnet hat und wir nicht draussen spielen konnten. Ich war damals ein Kind und digitale Unterhaltung gab es noch nicht.
Der Regen hat mir damals nichts ausgemacht, weil wir uns mit den Nachbarjungen auf unserem Dachboden einen provisorischen Tischtennistisch mit Hilfe meines Vaters gebaut hatten. Es waren zwei Holzplatten, die mein Vater nicht mehr brauchte, die auf einem Gartentisch und einer alten Nähmaschine befestigt waren. Diese Holzplatten waren kürzer und schmaler als ein normaler Tischtennistisch, aber das hat uns nicht gestört. Wir fühlten uns wie Profis im Trainingslager. Wir spielten von morgens bis abends, unterbrochen nur durch Pausen zum Mittagessen und Abendessen. Ein Tutorial oder eine Anleitung, wie man das Spiel spielt, hatten wir nicht, und was wir uns beigebracht hatten, war durch Versuch und Irrtum. Die Regeln, wie man Punkte zählt, hat uns mein Vater erklärt.

In diesem verregneten Sommer habe ich passabel Tischtennis gelernt. Doch ausgerechnet an diesem einen Tag mussten die Nachbarsjungen mit ihren Eltern zu ihrer Tante fahren, und ich blieb allein zurück. Es war mir langweilig, und an das Gefühl der Langeweile erinnere ich mich noch heute, nach Jahrzehnten. Das war das letzte Mal. Seitdem habe ich die entstandenen Freiräume vielfältig genutzt, und mein Problem sind eher die unendlichen Möglichkeiten, die man noch hätte – nur leider passen sie nicht in einen Tag, der nur 24 Stunden hat. Zum Beispiel wundere ich mich, dass mein Nachttisch immer noch steht, obwohl er schwer beladen ist mit all den ungelesenen Büchern, die ich unbedingt lesen möchte. Meistens, wenn eines der Bücher wegkommt, kommen zwei neue dazu. Alle diese kulturellen Angebote machen mich fast wahnsinnig, weil ich immer neue Dinge entdecke, die gleichzeitig stattfinden, und ich muss mich entscheiden. Man könnte die Beispiele noch lange fortsetzen.

Ich habe jedoch realisiert, dass irgendwann im Leben eine Phase kommt, in der die Langeweile, wie in der Kindheit, wieder zurückkehren kann. Meine Mutter, eine ehemalige Mathematiklehrerin, die nach und nach ihre Mobilität verliert, aber geistig so fit ist wie vor 20 Jahren, beginnt sich im Winter, wenn die sozialen Kontakte weniger werden, zu langweilen. Trotz digitaler Angebote und trotz ihrer Fähigkeit, ChatGPT gegen Perplexity auszutauschen, als KI mit mehr recherchierten Informationen und mehr Quellenangaben. Meine Mutter, über 80, hat keine Berührungsängste mit der digitalen Welt und bewegt sich dort sehr geschickt. Aber die sozialen Kontakte und der Austausch mit Menschen aus Fleisch und Blut, und insbesondere deren Fehlen, lassen sie sich einsam und auch gelangweilt fühlen. Dennoch schafft sie es jede Woche, in die Bibliothek zu gehen und sich sechs neue Bücher auszuleihen, die sie in einer Woche durchliest.

Ich beobachte meine Mutter seit etwa zehn Jahren genau und möchte über ihre Probleme im Detail Bescheid wissen. Nicht, dass ich ihr wirklich helfen könnte – meistens hilft sie sich immer noch selbst und löst ihre Probleme mit Hilfe digitaler Assistenten. Aber es ist eigennützig. Wenn ich Glück habe, werde ich mit ähnlichen Themen kämpfen müssen wie sie. Was kommt auf mich zu? Wie kann ich mich darauf vorbereiten?

Aus all meinen Beobachtungen kommt mir eigentlich eine klare Lösung: ein Netzwerk. Je grösser, desto besser. Am besten sollte man es kontinuierlich erweitern und dabei besonders auf Altersgruppen achten, die sich stark von der eigenen unterscheiden. Denn mit meinen Freundinnen kommt Langeweile nie auf. Wie letzte Woche, als wir zum Mittagessen verabredet waren und es viertel nach zwölf war, als meine Freundin noch nicht da war. Als ich sie anrief und fragte, wo sie steckt, sagte sie mir, dass das Mittagessen erst morgen, am Donnerstag, sei. Ich musste sie überzeugen, dass heute bereits Donnerstag ist. Aber das kann wirklich nur jemandem passieren, der im Homeoffice arbeitet wie sie. Dafür durfte ich den Herrn am Nebentisch kennenlernen, dessen Gast ebenfalls verspätet war. So sieht keine Langeweile aus.

Boredom


From time to time, when my life gets too hectic, I wish for a few hours of boredom. As often happens, it’s a very platonic wish, one I don’t actually mean, because I find boredom awful.

I remember that my last experience with boredom was sometime in the summer when it rained non-stop for three weeks and we couldn’t play outside. I was a child back then, and there was no digital entertainment.

The rain didn’t bother me because we had built a makeshift table tennis table with the neighbor boys in our attic, with help from my father. It was made of two wooden planks that my father no longer needed, placed on a garden table and an old sewing machine. The wooden planks were shorter and narrower than a normal table tennis table, but that didn’t bother us. We felt like professionals in training camp. We played from morning until evening, interrupted only by breaks for lunch and dinner. We had no tutorial or guide on how to play the game; what we learned was through trial and error. My father explained the rules for scoring.

In that rainy summer, I learned to play table tennis decently. But on that one day, the neighbor boys had to go with their parents to visit their aunt, and I was left alone. I was bored, and I still remember that feeling of boredom to this day, even after decades. That was the last time. Since then, I’ve used the free time I have in many ways, and my problem is more the endless possibilities of what I could do – but unfortunately, they don’t fit into a day that only has 24 hours. For example, I wonder why my nightstand is still standing, even though it’s weighed down with all the unread books I absolutely have to read. Usually, when one book is taken away, two new ones come along. All these cultural offers almost drive me crazy because I keep discovering new things happening at the same time, and I have to choose. One could continue with examples like this for a long time.

However, I’ve realized that at some point in life, a phase will come where boredom, like in childhood, may return. My mother, a former math teacher, who is gradually losing her mobility but whose mind is as sharp as it was 20 years ago, begins to get bored in the winter when social contacts become sparse. Despite digital options and despite her ability to exchange ChatGPT for Perplexity, as a more researched and detailed AI. My mother, over 80, has no fear of the digital world and navigates it very skillfully. But the lack of social contacts and interaction with people in the flesh and blood, and especially their absence, makes her feel lonely and bored. Nevertheless, she manages to go to the library every week and borrow six new books, which she reads in one week.

I have been closely observing my mother for about ten years and want to know the details of her problems. Not that I could really help her – most of the time, she still helps herself and solves her problems with the help of digital assistants. But it’s selfish. If I’m lucky, I will have to deal with similar issues as she does. What’s coming my way? How can I prepare for it?

From all these observations, a clear solution comes to mind: a network. The bigger, the better. Ideally, one should continuously expand it, especially with age groups that differ significantly from one’s own. Because with my friends, boredom never strikes. Like last week, when we had arranged to meet for lunch, and by quarter past twelve, my friend still wasn’t there. When I called her to ask where she was, she told me that lunch was actually tomorrow, on Thursday. I had to convince her that today was already Thursday. But this can really only happen to someone who works from home, like she does. As a result, I got to meet the gentleman at the next table, whose guest was also late. Now, that’s not boredom.