Ich gehe schwimmen. Gerne und oft. Am liebsten jeden Tag am Morgen. Das Hallenbad in Oerlikon öffnet um 6 Uhr. So etwas gibt es wahrscheinlich nur in der Schweiz. Wenn man 6 Minuten vor 6 kommt, stehen schon die ersten Ungeduldigen vor der Eingangstür. Alle kennen sich vom Sehen. Eine Minute vor 6 nähert sich der Badmeister und pünktlich um 6 Uhr wird die Tür geöffnet. Schlussendlich sind wir in der Schweiz. Sobald die Tür geöffnet wurde, strömen die Wartenden ungeduldig in die Garderoben und nur wenige Minuten später springen die ersten ins Wasser.
Schwimmen ist etwas Wunderbares: Die 30 Minuten, die ich meine Bahnen drehen, ist mein Kopf wunderbar leer und sehr empfänglich für alle möglichen Ideen. Das Schwimmen ist aber auch deshalb besonders sensationell, weil man während dieses Sportes nicht sprechen kann, auch nicht Zuhören (wie zum Beispiel beim Joggen), niemand kann anrufen und nichts kann wirklich stören. Es sind wahrscheinlich die konzentriertesten 30 Minuten des Tages, wenn ich ohne Unterbrechung denken kann. Ich bekomme tolle Ideen. Das Schwimmen empfinde ich nicht als anstrengend, es erfolgt fast mechanisch nebenbei, aber was währenddessen in meinem Kopf abläuft, bestimmt meine Entscheide während des ganzen restlichen Tages.
Ich bin eigentlich süchtig nach Schwimmen. Die Kombination von Bewegung und Ideen entwickeln beziehungsweise Probleme in Ruhe zu durchdenken, ist einmalig. Wenn ich unter der Woche nicht schwimmen gehen kann, merke ich es. Es geht mir dann ähnlich wie einem Klaviervirtuos, der ein paar Tage nicht geübt hat. Das Schwimmen erdet mich, es hilft mir meine Ideen weiterzuentwickeln.
Obwohl ich das Schwimmen so liebe, kämpfe ich gleichzeitig auch immer mein grösstes Dilemma gerade im Hallenbad aus. Stellen sie sich folgende Situation vor: Sie gehen nach dem Schwimmen in die Dusche, in die Garderobe oder zum Haare trocknen. Und dort sehen sie es. Es kann ein Mann oder eine Frau sein. Ihre Badesachen sind schon eines etwas älteren Jahrganges. Wenn man sie von hinten sieht, merkt man, dass der Stoff der Badesachen schon sehr dünn ist. Der Stoff ist durchsichtig. Der Betroffene merkt es kaum, weil die Badesachen im trockenen Zustand ganz normal aussehen. Im nassen Zustand ist der Stoffbereich im Po jedoch so gut wie überflüssig. Und jetzt? Wie reagieren Sie, wenn sie da stehen und dann kommt jemand mit so einem Badekleid. Werden sie es ihm sagen? Ich persönlich kämpfe jedes Mal aufs Neue mit mir. Sollte ich sagen: „Wissen Sie, dass Ihre Badekleidung von hinten durchsichtig ist?“.
Es passiert nicht oft. Gott sei Dank! Wenn es eine Frau ist, dann reisse ich mich zusammen und sage es. Schlussendlich wünsche ich mir, dass – wenn so etwas einmal mir passieren sollte – jemand den Mut hat, es mir zu sagen. Bei Männern schaffe ich es jedoch nie.
Letzte Woche habe ich wieder so einen Herrn gesehen. Wir standen nebeneinander bei den Haartrocknern. Aber ich konnte einfach nicht genug Mut aufbringen. Stellen Sie sich vor, ich nehme all meinen Mut zusammen, und sage ihm, dass seine Badehose von hinten durchsichtig ist und er antwortet: „Ich weiss. Das ist Absicht!“. DAS wäre echt peinlich!